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Gericht: Finanzgericht Rheinland-Pfalz
Urteil verkündet am 26.02.2007
Aktenzeichen: 5 K 2354/06
Rechtsgebiete: AO 1977


Vorschriften:

AO 1977 § 175 Abs. 1 Nr. 1
AO 1977 § 182 Abs. 1 S. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Rheinland-Pfalz

5 K 2354/06

Einkommensteuer 2000

In dem Finanzrechtsstreit

hat das Finanzgericht Rheinland-Pfalz - 5. Senat - aufgrund mündlicher Verhandlung vom 26. Februar 2007 durch

den Vorsitzenden Richter am Finanzgericht ...,

den Richter am Finanzgericht ...,

die Richterin am Finanzgericht ...,

den ehrenamtlichen Richter, ...

die ehrenamtliche Richterin ...,

für Recht erkannt:

Tenor:

Der geänderte Einkommensteuerbescheid 2000 vom 13. Juni 2006 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 28. August 2006 wird aufgehoben.

Der Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Das Urteil ist hinsichtlich der vom Beklagten zu tragenden Kosten vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Beklagte trotz der tatsächlichen Verständigung vom 6. Juni 2005 in dem Verfahren 5 K 2040/04 und dem infolgedessen ergangenen und bestandskräftigen Einkommensteuerbescheid 2000 vom 2. August 2005 dennoch den gemäß § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO geänderten Einkommensteuerbescheid 2000 vom 13. Juni 2006 erlassen durfte.

Die in I wohnhafte Klägerin wird vom Beklagten zur Einkommensteuer veranlagt. Im Jahr 1994 übernahm die Klägerin die von ihrem Vater ausgeübte Maklertätigkeit, meldete diese am 5. Juli 1994 bei der Gemeindeverwaltung S an und betrieb seither den Handel mit aus Insolvenzen und Betriebsauflösungen stammenden Gütern. Bis zum rechtskräftigen Widerruf seiner Maklererlaubnis und der Untersagung seines Gewerbes gemäß § 35 GewO im Jahr 1995 hatte der Vater der Klägerin in großem Umfang aus Insolvenzen, Betriebsauflösungen oder Räumungen stammende Gegenstände aufgekauft, sie in von ihm angemieteten Hallen eingelagert und sie sodann über Zeitungsinserate veräußert. Am 29. Februar 2000 meldete die Klägerin ihre in S betriebene Maklertätigkeit ab und meldete zum 1. März 2000 in W eine Immobilienvermittlung und -beratung an. Seither stellt das Finanzamt W die aus ihrer Immobilienvermittlung und -beratung in W erzielten gewerblichen Einkünfte gesondert fest.

Mit Schreiben vom 30. Januar 2001 forderte der Beklagte die Klägerin auf, ihm ihre Einkommensteuererklärung 2000 auf den beigefügten Vordrucken ausgefüllt und unterschrieben bis zum 31. Mai 2001 zurückzusenden. Mit Schreiben vom 5. Dezember 2002 teilte der Beklagte der Klägerin mit, dass er die Besteuerungsgrundlagen gemäß § 162 AO schätzen, ihrer Besteuerung Einnahmen aus Gewerbebetrieb und aus Kapitalvermögen in Höhe von jeweils 20.000,- DM zugrunde legen werde und gab ihr bis zum 2. Januar 2003 Gelegenheit zur Stellungnahme (ESt-Akte, Bd. I, Fach 2000, Bl. 11). Mit Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2000 vom 27. Januar 2003 setzte der Beklagte Einkommensteuer in Höhe von 3.221,51 EUR fest, wobei er von den der Klägerin zuvor mitgeteilten Einnahmen ausging. Der Bescheid erging unter dem Vorbehalt der Nachprüfung (ESt-Akte, Bd. I, Fach 2000, Bl. 12). Gegen den Einkommensteuerbescheid 2000 legte die Klägerin Einspruch ein, ohne diesen zu begründen. Mit Einspruchsentscheidung vom 1. Juni 2004 wies der Beklagte den Einspruch zurück. Hiergegen erhob die Klägerin fristgemäß Klage, die unter dem Aktenzeichen 5 K 2040/04 geführt wurde. Mit im Klageverfahren gemäß § 164 Abs. 2 AO geändertem Einkommensteuerbescheid 2000 vom 30. Mai 2005 ging der Beklagte von gewerblichen Einkünften der Klägerin in Höhe von 30.344,- DM und von Einkünften aus Kapitalvermögen in Höhe von 16.900,- DM aus. Die gewerblichen Einkünfte der Klägerin in Höhe von 30.344,- DM ergaben sich aus der Mitteilung über die gesonderte Gewinnfeststellung des Finanzamtes W vom 23. September 2004 (ESt-Akte, Bd. II, Bl. 112). In der beim Beklagten am 24. März 2005 eingegangenen und wiederum gemäß § 164 Abs. 2 AO geänderten Mitteilung über die gesonderte Gewinnfeststellung 2000 vom 22. März 2005 teilte das Finanzamt W dem Beklagten mit, dass sich der Gewinn der Klägerin aus ihrer gewerblichen Tätigkeit in W von 30.344,- DM auf 32.000,- DM erhöht habe (ESt-Akte, Bd. II, Bl. 232).

Mit weiterem gemäß § 164 Abs. 2 AO geänderten Einkommensteuerbescheid vom 6. Juni 2005 ging der Beklagte von gewerblichen Einkünfte der Klägerin aus ihrer einzelunternehmerischen Tätigkeit in Höhe von 10.445,- DM und von den gesondert festgestellten gewerblichen Einkünften in Höhe von 30.344,- DM aus, ohne hierin den geänderten Gewinn der Klägerin aus ihrer gewerblichen Tätigkeit in W in Höhe von 32.000,- DM zu berücksichtigen (PA 5 K 2040/04, Bl. 163). Die Einkünfte aus Kapitalvermögen änderte der Beklagte nicht. In der mündlichen Verhandlung vom 6. Juni 2005 verständigten sich die Klägerin und der Beklagte auf Vorschlag des Gerichts wie folgt über die Besteuerungsgrundlagen des Jahres 2000 (PA 5 K 2040/04, Bl. 173):

Verluste aus der Einkommensart Vermietung und Verpachtung werden in den Streitjahren nicht anerkannt.

Einkünfte aus Kapitalvermögen werden in den Streitjahren nicht in Ansatz gebracht.

Die Einkünfte aus Gewerbebetrieb werden, wie erklärt, in den Streitjahren in Ansatz gebracht.

Die geltend gemachten Sonderausgaben (Studium) werden anerkannt.

Hinsichtlich des nunmehr unter dem 6. Juni 2005 erneut geänderten Einkommen-steuerbescheides 2000 verbleibt es bei den in diesem Änderungsbescheid angesetzten Einkünften aus Gewerbebetrieb.

In dem gemäß § 164 Abs. 2 AO geänderten Einkommensteuerbescheid 2000 vom 2. August 2005 berücksichtigte der Beklagte schließlich die in der tatsächlichen Verständigung vom 6. Juni 2005 festgehaltenen Besteuerungsgrundlagen und hob den Vorbehalt der Nachprüfung auf (PA 5 K 2040/04, Bl. 186). In diesem Bescheid ging der Beklagte von Einkünften der Klägerin aus Gewerbebetrieb als Einzelunternehmerin in Höhe von 10.445,- DM und von gewerblichen Einkünften laut der gesonderten Feststellung vom 23. September 2004 in Höhe von 30.344,- DM aus. Nachdem der gemäß § 164 AO geänderte Einkommensteuerbescheid 2000 vom 2. August 2005 ergangen und der Vorbehalt der Nachprüfung aufgehoben worden war, erklärten die Beteiligten den Rechtstreit in der Hauptsache für erledigt und das Gericht legte der Klägerin mit Beschluss vom 17. Oktober 2005 die Kosten des Verfahrens auf (PA 5 K 2040/05, Bl. 194). Der geänderte Einkommensteuerbescheid 2000 vom 2. August 2005 wurde bestandskräftig.

Mit gemäß § 175 Absatz 1 Nr. 1 AO geändertem Einkommensteuerbescheid 2000 vom 13. Juni 2006 berücksichtigte der Beklagte den ihm vom Finanzamt W bereits am 24. März 2005 mitgeteilten gesondert festgestellten Gewinn der Klägerin aus ihrer gewerblichen Tätigkeit in W in Höhe von 32.000,- DM bei der Festsetzung der Einkommensteuer des Jahres 2000. Gegen den geänderten Einkommensteuerbescheid 2000 vom 13. Juni 2006 legte die Klägerin Einspruch ein. Mit Einspruchsentscheidung vom 28. August 2006 wies der Beklagte den Einspruch zurück (ESt-Akte, Bd. II, Bl. 240).

Mit ihrer fristgemäß erhobenen Klage macht die Klägerin geltend, dass der Einkommen-steuerbescheid 2000 vom 13. Juni 2006 rechtswidrig und nicht nachvollziehbar sei. Nachdem sich sie und der Beklagte in dem Verfahren 5 K 2040/04 am 6. Juni 2005 über die Besteuerungsgrundlagen tatsächlich verständigt hätten, habe der Beklagte den geänderten Einkommensteuerbescheid 2000 vom 13. Juni 2006 nicht erlassen dürfen.

Die Klägerin beantragt,

den geänderten Einkommensteuerbescheid 2000 vom 13. Juni 2006 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 28. August 2006 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte trägt vor, bei dem Einkommensteuerbescheid 2000 handele es sich um einen Folgebescheid aus dem Gewinnfeststellungsbescheid des Finanzamtes W vom 22. März 2005. Der Bescheid sei innerhalb der Frist des § 171 Abs. 10 AO ergangen. Insoweit verweise er auf das Protokoll über die mündliche Verhandlung vom 6. Juni 2005 in dem Klageverfahren 5 K 2040/04. Die in der mündlichen Verhandlung vom 6. Juni 2005 in dem Verfahren 5 K 2040/04 erzielte Einigung, wonach die Einkünfte aus Gewerbebetrieb wie erklärt in Ansatz zu bringen seien, beziehe sich nur auf die Einkünfte, für deren Ermittlung der Beklagte auch selbst zuständig gewesen sei. Eine andere Auslegung widerspreche Sinn und Zweck des § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige und gemäß § 42 FGO auf die Änderung des bestandskräftigen Einkommensteuerbescheides 2000 vom 2. August 2005 durch den geänderten Einkommensteuerbescheid 2000 vom 13. Juni 2006 beschränkte Klage ist begründet. Der geänderte Einkommensteuerbescheid vom 13. Juni 2006 in Gestalt der Einspruchsentscheidung ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 S. 1 FGO).

I. Gemäß § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO ist ein Steuerbescheid zu erlassen, aufzuheben oder zu ändern, soweit ein Grundlagenbescheid, dem Bindungswirkung für diesen Steuerbescheid zukommt, erlassen, aufgehoben oder geändert wird. Gemäß § 182 Abs. 1 Satz 1 AO sind Feststellungsbescheide, auch wenn sie noch nicht unanfechtbar sind, für andere Feststellungsbescheide, für Steuermessbescheide, für Steuerbescheide und für Steueranmeldungen (Folgebescheide) bindend, soweit die in den Feststellungsbescheiden getroffenen Feststellungen für diese Folgebescheide bindend sind.

II. Unter Zugrundelegung des Wortlauts des § 175 Abs. 1 Nr. 1 und des § 182 Abs. 1 Satz 1 AO wäre der Beklagte grundsätzlich verpflichtet gewesen, die bei ihm am 24. März 2005 eingegangene und geänderte Mitteilung des Finanzamtes W über die gesonderte Gewinnfeststellung der Klägerin vom 22. März 2005 durch einen gemäß § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO geänderten Einkommensteuerbescheid für das Veranlagungsjahr 2000 zu berücksichtigen.

III. Im vorliegenden Fall muss sich der Beklagte jedoch ausnahmsweise entgegen halten lassen, dass seine grundsätzliche Änderungsbefugnis gemäß § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO infolge seiner tatsächlichen Verständigung mit der Klägerin über die Besteuerungsgrundlagen vom 6. Juni 2005 und des auf der Grundlage dieser tatsächlichen Verständigung gemäß § 164 Abs. 2 AO geänderten Einkommensteuerbescheides 2000 vom 2. August 2005 verwirkt und aufgrund dessen treuwidrig ist.

1. Das Rechtsinstitut der Verwirkung gilt als Ausfluss der die gesamte Rechtsordnung beherrschenden Grundsätze von Treu und Glauben auch im Steuerrecht. Der Tatbestand der Verwirkung setzt neben dem bloßen Zeitmoment sowohl ein bestimmtes Verhalten des Anspruchsberechtigten voraus, demzufolge der Verpflichtete bei objektiver Beurteilung darauf vertrauen durfte, nicht mehr in Anspruch genommen zu werden - Vertrauenstatbestand - als auch, dass der Anspruchsverpflichtete tatsächlich auf die Nichtgeltendmachung des Anspruchs vertraut und sich hierauf eingerichtet hat - Vertrauensfolge - (vgl. BFH-Urteil vom 24. Juni 1988 III R 177/85, BFH/NV 1989, 351 m.w.N.).

2. Unter Zugrundelegung dessen hat die tatsächliche Verständigung in der mündlichen Verhandlung vom 6. Juni 2005 über die Besteuerungsgrundlagen in dem Verfahren 5 K 2040/04 zum einen einen Vertrauenstatbestand begründet. Zum anderen hat sich die Klägerin infolge des auf Grundlage der tatsächlichen Verständigung gemäß § 164 Abs. 2 AO geänderten Einkommensteuerbescheides 2000 vom 2. August 2005 darauf einrichten dürfen, dass der Beklagte hiernach keinen geänderten Einkommensteuerbescheid 2000 mehr erlassen wird.

In der mündlichen Verhandlung vom 6. Juni 2006 verständigten sich die Beteiligten unter der Ziffer 3. zunächst darüber, dass die Einkünfte der Klägerin aus Gewerbebetrieb - wie von ihr erklärt - im Streitjahr 2000 in Ansatz gebracht werden. Des weiteren hielten sie unter Ziffer 5. ausdrücklich fest, dass es hinsichtlich des erneut geänderten Einkommensteuerbescheides 2000 vom 6. Juni 2000 bei den in diesem Änderungsbescheid angesetzten Einkünften aus Gewerbebetrieb verbleibt, obwohl der Beklagte bereits am 24. März 2005 die geänderte Mitteilung des Finanzamtes W über die gesonderte Gewinnfeststellung 2000 vom 22. März 2005 erhalten hatte und er somit in der mündlichen Verhandlung vom 6. Juni 2005 darauf hätte hinwirken können, dass der von 30.344,- DM auf 32.000,- DM erhöhte Gewinn der Klägerin aus ihrer gewerblichen Tätigkeit in W im Rahmen der tatsächlichen Verständigung Berücksichtigung findet. Da sich der Beklagte in der mündlichen Verhandlung vom 6. Juni 2005 ungeachtet dessen jedoch tatsächlich darauf verständigte, dass es ausschließlich bei den im geänderten Einkommensteuerbescheid 2000 vom 6. Juni 2005 angesetzten Einkünften aus Gewerbebetrieb, d.h. bei gewerblichen Einkünften aus ihrer einzelunternehmerischen Tätigkeit in Höhe von 10.445,- DM und laut gesonderter Feststellung in Höhe von 30.344,- DM verbleibt (PA 5 K 2040/04, Bl. 163 f.), hat die Klägerin aufgrund der tatsächlichen Verständigung vom 6. Juni 2005 darauf vertrauen dürfen, dass gemäß § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO kein Änderungsbescheid mehr ergehen, und sich infolge des aufgrund der tatsächlichen Verständigung ergangenen geänderten Einkommensteuerbescheides 2000 vom 2. August 2005 auch darauf einrichten dürfen, dass künftig keine Änderung dieses Bescheides mehr erfolgen wird.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO. Die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 155, 151 Abs. 3 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO. Die Revision war nicht zuzulassen (§ 115 Abs. 2 FGO).

Ende der Entscheidung

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